27. September 2011

Berlin

Hallo liebe Reisefreunde,

heute bin ich in Berlin eingelaufen !!! Ich komme gerade aus der Berliner Philharmonie. Es gab das Oratorium "Judas Maccabäus" von G.F. Händel. Eine Aufführung mit historischen Instrumenten und einem ausgezeichneten Chor.

Zunächst aber die Reiseerlebnisse bis hierher.

Nachdem ich in Klaipeda die Schiffspassage nach Sassnitz gebucht habe, bleiben fast zwei Tage Zeit, die relativ große Stadt kennen zu lernen.
Sie ist stark geprägt von den riesigen Hafenanlagen. Von der Altstadt ist eigentlich nur eine Straße vollständig restauriert - vor allem barocke Bürgerhäuser. Das Highlight liegt auf der anderen Seite des Haffs: die kurische Nehrung. Ein durchgehender Sandstrand über fast 100 km - davon 50 km in litauischer Zugehörigkeit. Fast 20 km radle ich direkt im festen Sand - die Brandung im Blick. Zurück gehts über die durchgehende Straße nach Kaliningrad. Vor allem abends rasen russische Fahrzeuge der Oberklasse wieder in Richtung russischer Enklave.

Der Abreisetag macht es mir leicht, Litauen zu verlassen: es ist bedeckt, regnet schließlich beim Einchecken. Das besondere der Fähre sind die 9 langen Gleise, auf denen russische Güterwagen nach Mukran (Rügen) trajektiert werden. Interessant sind die Rangiermanöver beim Be- und Entladen des Schiffes.

Als wir schließlich pünktlich ablegen, wird uns mitgeteilt, dass das Schiff wegen des Wetters (Gegenwind) mit 4 Stunden Verspätung ankommen wird. Das bringt meinen Plan, noch am gleichen Tag bis Stralsund zu fahren, ins Wanken. Immerhin ist in Sassnitz schönes Wetter, als wir anlegen. Aber der Gegenwind trifft auch mich auf der gesamten Route über Bergen und Altefähr. Als ich schließlich im geplanten Hostel am Hafen ankomme ist es bereits dunkel. Ich werde überrascht von der Meldung "Ausgebucht". Etwas zu insistieren, hilft aber auch hier. In einen Fünferzimmer im Keller kann ich das zweite Bett belegen - drei bleiben sogar frei...

Auch in Stralsund gönne ich mir einen Besichtigungstag. Vor allem die riesigen gotischen Backsteinkirchen prägen das Stadtbild. Am Hafen liegt die Vorgängerin der "Gorch Fock". Die Altstast ist umgeben von Parks und Wasserflächen.

Der erste lange Reisetag nach Neubrandenburg geht über 100 km. Vor allem die schöne Altstadt von Greifswald überrascht mich unterwegs. In Neubrandenburg gibt es eine geschlossene Stadtmauer - von der Altstadt darin ist aber vieles durch DDR-Beton ersetzt worden.

Der nächste Tag führt bis Zehderick. Ab Neustrelitz über Fürstenberg folge ich der Havel. Ihr Lauf besteht eigentlich aus einer Kette zusammenhängender Seen, die von Freizeitschiffern bevölkert sind. Das Gefälle bis Berlin beträgt kaum 10 m und wird mit Schleusen überbrückt.

In Zehderick finde ich ein Privatzimmer für 15 Euro im ausgebauten Keller eines Privathauses. Leider ist die Außenwand des Kellerraumes total sporig. Das schlägt sich über Nacht auf meine Bronchien - es erzeugt leichtes Halsweh. Ich hoffe, das legt sich bei dem warmen Wetter der nächsten Tage.

Heute macht die Sonne zunächst Pause. Es regnet, als ich in die Außenbezirke von Berlin fahre. Dennoch kann ich die Mittagspause auf dem Alexanderplatz halten. Von hier sind es noch 5 km bis Charlottenburg zum geplanten Hostel am Spandauer Damm. Ich komme in einem Viererzimmer für 15 Euro unter.

Die erste Stadterkundung führt ins Kulturkaufhaus "Dussmann". Dort erfahre ich auch das abendliche Konzertprogramm. Die Gelegenheit ist günstig, gleich heute die Berliner Philharmonie von innen kennen zu lernen.

Viele Grüße aus Berlin

Joachim Heidinger

20. September 2011

Klaipeda

Hallo liebe Leser,

Zwei Tage in Riga sind kulturelle Highlights. Nach der verregneten Ankunft klart es abends auf. Ich frage im Hostel nach dem Opernprogramm - das Internet weiss alles... Heute gibts ein Ballet (schon wieder..) nach der Musik von Franz Liszt, morgen den "Barbier von Sevilla", Oper von Rossini.

Gleich heute starte ich also noch zum Opernhaus (nur 10 min Fussweg) und erhalte fuer 2.50 Euro eine Stehplatzkarte - die preiswerteste Sitzkarte kostet auch nur 4 Euro. Tatsaechlich sind aber so viele Plaetze frei, dass ich auch nicht stehen muss. Die Auffuehrung begeistert nicht ganz so wie die in Tallinn - dennoch aber solide mit hervorragenden Musikern.

Den Zweiten Tag nutze ich, die linke Flussseite von Riga kennen zu lernen. Die Sanierungsarbeiten sind noch nicht bis hierher vorgedrungen - ein Strassenbild wie in den fuenfziger Jahren. Ausnahme ist eine Insel zwischen Fluss und Hafenkanal: Dort enstehen neue Buerohaeuser mit attraktivem Blick auf die Skyline von Riga.

Der Opernabend ist einzigartig: Die Handlung wird in die Zeit der franzoesischen Revolution verlegt, Figaro ist ein Faktotum zwischen Anfuehrer einer verwahrlosten Jakobinergruppe und Gewinner beim Einschmeicheln bei den Adligen. Er singt und spielt alle an die Wand...

Der Sonntag ist nun Abreisetag nach Liepaja. Der einzige Zug faehrt erst 18:30 Uhr und ist kurz vor 22:00 Uhr am Ziel. So habe ich noch einen ruhigen Sonntag mit Gotesdienstbesuch und Kunstmuseum.

Die Abfahrt verzoegert sich um 25 Minuten - weil der Zug schon einen Vorlauf hat. Einsteigen ist wie immer abenteuerlich: etwa 1 Meter hoch muss ich Gepaeck und Fahrrad ueber eine leiteraehnliche Wagentreppe stemmen. Der Zug rattert ueber eine schlecht gewartete Nebenstrecke - die einzige aber, die noch an die suedliche Ostseekueste fuehrt. Trotz spaeter Ankunft finde ich dank der Karte im "Lonely Planet" das versteckt liegende Hostel. Fuer nur etwa 9 Euro gibts ein Bett im Viererzimmer. Das Hostel ist weitgehend leer. Eigentlich stellt man sich hier schon auf die Wintersaison ein.

Der naechste Tag ist nochmals ein Radreisetag. 100 km gehts an der Kuestenstrasse entlang nach Klaipeda. Der Himmel zeigt vielversprechend zunaechst nur leichte Bewoelkung, die aber im Laufe des Tages zunimmt. Am Ziel regnet es leicht aber dauerhaft.

Unterwegs besuche ich fuer eine kurze Pause das Seebad Palanga 30 km vor Klaipeda. Mit EU-Mitteln ist ein nagelneuer Flughafen entstanden. Bisher kann man aber nur nach Riga, Oslo oder Kopenhagen fliegen.
In Klaipeda finde ich das direkt gegenueber vom Busbahnhof liegende Hostel. Nur zwei Zimmer mit je 12 Bwetten gibts und eine (!) Dusche. Ich bin aber froh fuer die naechsten Tage preiswert unter zu kommen.

Um nun ein Ticket fuer die Faehre zu buchen, versuche ich mein Glueck beim Faehrhafen. Dieser ist weit ausserhalb der Stadt nur ueber eine abenteuerliche Nebenstrasse erreichbar, mindestens 10 km Fahrt. Als ich dort bin, ist das DFDS Lisco Buero schon geschlossen. Ich solle morgen in ein Buchungsbuero in der Altstadt gehen...

Heute nun bekomme ich problemlos die gewuenschte Buchung fuer den 22.09. Ich buche Schlafsessel mit Fruehstucksbuffet und Fahrrad-Ticket fuer 58 Euro.

Dann gehts auf die kurische Nehrung. Die Sonne scheint strahlend. Es gibt nur leichen Westwind - ideales Wetter also fuer die Radtour. Eine Faehre bringt mich auf die Halbinsel - tatsaechlich fliesst also die Memel erst in Klaipeda ins Meer. Auf der Nehrung ist ein verzweigtes Radwegenetz entstanden, meist sogar asphaltiert. Leider verlaeuft der Weg aber durchweg hinter der Duene. Deshalb goenne ich mir die etwas anstrengendere Fahrt direkt im Sand. Fast durchweg ist er so hart, dass das Rad nicht einsinkt. Unterwegs treffe ich mehrere Bernsteinsammler. Es gibt immer noch etwas zu finden...

Der Rueckweg ist dann einfacher auf der durchgehenden Strasse an der oestlichen Seite zum Haff. Immer wieder oeffnen sich Blicke auf die riesigen Hafenanlagen von Klaipeda. Auf der hoehen Duene sitzend geniesse ich zum Abschluss die sinkende Sonne ueber der Ostsee. Schade, dass ich nicht bis zum Sonnenuntergang hier sitzen bleiben kann.

Viele Gruesse aus Klaipeda

Joachim Heidinger

16. September 2011

Rueckreise

Hallo liebe Reisefreunde,

zwei Tage goenne ich mir auch in Tallinn. Die Stadt brummt touristisch. Das mag an der Naehe zu Helsinki liegen oder am Matrathonlauf oder an der Auswahl als Kulturhauptstadt. Jeden Abend gibt es mehrere kulturelle Veranstaltungen. Am ersten Abend lande ich im Opernhaus: Nach der Musik von Sir Malcolm Arnold gibt es ein Ballett "Die drei Musketiere" - sehr englische Musik und perfekte Choreographie. Am zweiten Abend bin ich in der Karlskirche bei Verdis "Missa da Requiem" - ein absolutes Highlight musikalisch und in Bezug auf die Auffuehrung.

Ja die Stadt begeistert natuerlich auch. Nach dem regnerischen Start sind die naechsten beiden Tage gut bis sehr gut. Am Sonntag strahlt (zum letzten Mal) die baltische Sonne. Von der Oberstadt habe ich perfekte Ausblicke in die Altstadt und die Region. Der zweite Tag beginnt bewoelkt, klart dann aber auf. Schloss Kadriorg ist zunaechst das Ziel, ein Barockschloss, das an Ludwigsburg erinnert, dann der botanische Garten am Fluss Pirita - noch sehr urspruenglich, obwohl kaum 5 km von der Stadtgrenze entfernt.

Auf dem Rueckweg erfahre ich, dass am Sonntag die "St. Peter Line" fuer 49 Euro (Kabine !) nach St. Petersburg und zurueck gefahren ist und, dass es fuer solche Zwecke ein Drei-Tage-Visum fuer 20 Euro gibt - leider eine verpasste Chance...

Der dritte Tag sollte eigentlich der Abreisetag sein. Dauerregen bewegt mich, auch hier noch einen Tag dranzuhaengen. Das KuMu, das grosse Kunstmuseum (Das Gebaeude ist schon ein Hit) besuche ich. Es gibt estonische und russische Malerei aus der Vor- und Nach-Stalinzeit. Dazwischen tricksen sich estonische Maler so durch...

Auch der naechste Tag ueberzeugt mich nicht, weiter Rad zu fahren. So verfolge ich meinen urspruenglichen Plan und fahre mit der Bahn in die Universitaetsstadt Tartu. Das Fahrrad kann ich voll beladen in den Zug schieben. Tartu hat einen vorbildlich restaurierten Rathausplatz mit geschlossen klassizistischer Gebaeudefront und einen eigenen Universitaetsberg. Auf diesem steht noch die Ruine des Domes, der vor 200 Jahren abgebrannt und nicht wieder aufgebaut wurde. Drum herum siedeln sich die verschiedenen Fakultaeten an. Vor allen Anatomie und Embriologie wurde hier bereits im 18. Jhdt. entwickelt.

Am zweiten Tag in Tartu versuche ich auf einer 40 km-Exkursion nochmals das Fahrrad zu bewegen. Ein bissiger Westwind macht das Radfahren in dieser Richtung zur Qual - und in dieser Richtung gehts 300 km nach Riga.

Heute Morgen herrscht auch in Tartu Dauerregen. Also nutze ich die einzige Zugverbindung nach Riga: mit dem Bummelzug in die Grenzstadt Valka, dort umsteigen in den naechsten Bummelzug nach Riga. Insgesamt ist man 4 1/2 Stunden unterwegs. Dafuer ist es trocken und das Fahrrad kann mit Gepaeck mitgenomen werden.

Hier komme ich wieder im gleichen Hostel wie vor zwei Wochen unter. Inzwischen hat auch hier die Oper ihr Programm gestartet.

In zwei Tagen gehts weiter - wahrscheinlich mit dem Zug nach Liepaja. Von dort sind es dann nur noch 90 km nach Klaipeda, wo die Faehre nach Sassnitz abfaehrt. Aus der urspruenglich geplanten Kuestentour entlang der lettischen Kueste wird wohl nichts mehr. "Es ist Herbst und da regnet es in Lettland", ist der Kommentar der Hostelbetreiberin.

Viele Guesse also nochmals aus Riga

Joachim Heidinger

10. September 2011

Tallinn

Hallo liebe Reisefreunde,

soeben bin ich in Tallin eingelaufen. Zuletzt verlief die Reise jedoch etwas holprig...

Doch der Reihe nach:
In Riga moechte ich eigentlich zwei Tage bleiben. Dauerregen am Vormittag des Abreisetages veranlasst mich aber, noch einen Tag dranzuhaengen. Der erste Tag ist der Stadt und seinen politischen Museen gewidmet. Dargestellt wird vor allem der Schrecken der russischen Besatzung. Die Deutschen kommen relativ glimpflich davon, obwohl sie in Riga auch alle Juden ermordet haben.

Am Nachmittag schlendere ich durch die riesigen Markthallen direkt neben dem Hostel. Es sind ehemalige Zeppelin-Hangars. Dort gibt es alles, vor allem aber spottbilige Lebensmittel...

Am zweiten Tag besuche ich zuerst das Jugendstielviertel der Stadt. Eine komplette Strasse mit eindrucksvollen mehrstoeckigen Jugendstilhausern ist erhalten geblieben und zumeist hervorragend renoviert.

Am Nachmittag fahre ich mit der S-Bahn ins benachbarte Seebad Jurmala. Ein gigantischer Sandstrand liegt vor den mondaenen Villen, der jetzt fast leer ist. Strandwanderer oder -radfahrer ueberwiegen. Den Regentag nutze ich fuer weitere Museen: zuerst das eher enttaeuschende Eisenbahnmuseum, dann die mehr zufaellig zusammengetragene staatliche Kunstsammlung.

Am naechsten Tag geht es endlich weiter bis Salacgriva, kurz vor der estischen Grenze. Anfangs nutze ich eine Nebenstrasse entlang der Kueste. Dann muss ich weiter auf der "Via Baltica" , der Fernstrasse nach Tallinn fahren. Mit zunehmender Entfernung von Riga nimmt die Qualitaet der Strasse ab, der LKW-Verkehr aber nicht. In Salacgriva finde ich ein Zimmer in einem Hotel, das vorwiegend als Pflegeheim fuer Senioren genutzt wird (ohne Lift). Der naechste Tag ist stark bewoelkt. Kurz hinter der Grenze zu Estland beginnt eine wunderschoene Radroute abseits der Fernstrasse. Nach 30 kim endet leider das Vergnuegen. Es bleibt nur der Weg auf der Fernstrasse. Unterwegs rette ich mich wieder in ein Buswartehaeuschen vor dem einsetzenden Regen. Dabei begegnen mir zwei junge Maenner, die von Tampere nach Hannover trampen wollen (in 16 Tagen). Sie uebernachten nur im Zelt, im Wald. Heute nimmt sie aber niemand mit. So marschieren sie im Regen weiter entlang der Fernstrasse.

Abens bin ich im Seebad Paernu. Dort komme ich in einem preiswerten Hostel unter. Die Saison ist hier bereits bgeendet. Die Strandpromenade ist verwaist. Nur ein paar Kite-Surfer nutzen den Wind und das flache Wasser. Gestartet wird im Flachwasser liegend, wenn der Wind den Drachen so stark treibt, dass er zum Aufstehen reicht.

Gestern nun fahre ich zuerst in Richtung Westen nach Lihula, um der Fernstrasse zu entkommen. Auf der Weiterfahrt auf der N 10 ueberrascht mich erstmals ein Schauer, dem ich nicht entkommen kann. Alles wird ziemlich nass... Auf der Suche nach einer Unterkunft beginnt dann das erste Problem. Nach langem Fragen und Telefonieren ergibt sich, dass es in Laiste ein Hotel im alten Schloss geben soll. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreiche ich das Haus. Das Zimmer kostet erbarmungslos 62 Euro, derselbe Preis wie fuer zwei Personen. Ich beschliesse zunaechst mit der nahen S-Bahn noch nach Tallinn zu Fahren. Am Bahnhof schaue ich nochmals auf die Hotelbeschreibung: Sie bietet auch Camping an. Also gehts wieder zurueck. Ich darf im Schlossgarten mein Zelt aufstellen. Es gibt aber keine Infrastruktur (Dusche, Toilette). Nachts beginnt es wieder zu regnen. Morgens ist das Zelt durchgaengig nass.

Ich raeume trotzdem ein und begebe mich auf die loetzten 40 km nach Tallinn. Obwohl ich schon mittags dort bin, sind alle Hostels ausgebucht !! Dies sei jedes Wochenende so. Wenn in den anderen Staedten schon das Gefuehl von Nachsaison aufkommt, herrscht hier noch touristische Hauptsaison.

Nach vielen Versuchen, bei denen mir jeweils die Hostelbetreiber weiterhelfen, finde ich das letzte Bett in einem etwas ausserhalb liegenden Haus. Das aber nur, weil kurz vorher jemand seine Vorausbuchung wieder zurueckgezogen hat. Glueck also...

Viele Gruesse Tallinn

Joachim Heidinger

3. September 2011

Riga

Hallo liebe Leser,

in Vilnius goenne ich mir zwei Tage Pause. Ein Bummel durch die Altstadt beginnt an der Kathedrale des Erzbistums, geht ueber den Burgberg, den Gruendungsort der Stadt, durch die Gassen mit den kleinen Kreativlaeden und endet an der juedischen Synagoge, der einzigen, die die Deutschen haben stehen lassen.

Das Feindbild der Litauer wird aber - anders als in Polen, wo noch heute die russischen Panzer auf dem Denkmalssockel stehen - vorwiegend von der russischen Besetzung, weniger von den Ereignissen im zweiten Weltkrieg gepraegt. Und das, obwohl in Vilnius ein Drittel der Bevoelkerung von Deutschen ermordet wurde, naemlich der sehr hohe juedische Anteil. Im KGB-Museum in Vilnius werden nicht nur die Akten zur Einsichtnahme offen gelegt, sondern auch die Folterkammern im Keller gezeigt.

Abends singt der Kammerchor aus Belarus in der Jakobskirche. Hervorragender Chorklang ueberzeugt bei der russisch-deutschen Auswahl.

Den zweiten Tag lasse ich ruhiger angehen. Ein Bummel durch die Markthalle und den angrenzenden Basar erinnert an tuerkische Staedte. Der Ausflug zum 5 km entfernten Flughafen belegt das geringe Verkehrsaufkommen. Nur kleine Flugzeuge koennen hier landen. Immerhin erreicht man verschiedene europaeische Hauptstaedte: London, Bruessel, Riga,... Am Nachmittag komme ich zufaellig durch den riesigen Vingio-Park. Er besitzt eine gigantische Konzertmuschel mit Bestuhlung - offenbar fuer die Saengerefeste. Heute wird wieder eine grosse Rockbuehne aufgebaut. Sie wirkt eher klein gegen die Kuppel dahinter.

Auch heute Abend ist Kammerchor angesagt - diesmal der aus Vilnius. Er singt einen kompletten EvenSong, dann noch Chormusik franzoesischer Komponisten - leider begleitet von einer elektronischen Orgel...

Nach drei strahlenden Sonnentagen in Vilnius ist der Abreistag nun stark bewoelkt. Auf der A14 fahre ich nach Utena (96 km). Angesichts des geringen Verkehrsaufkommens ist es hier kein Problem, auch Fernstrassen mit dem Fahrrad zu nutzen. Oft bin ich auf der Strasse allein. Sie ist aber gut ausgebaut, so dass ich schnell voran komme. Einziger Ort unterwegs ist Moletai im litauischen Seengebiet. Die Seein sind hier aber kleiner als in Masuren und nicht miteinander verbunden. Der Tourismus ist daher noch gering.

In Utena begruessen mich riesige Gebrauchtwagenhaendler. In grossen Autotransportern werden Altfahrzeuge aus Europa hierher transportiert und fuer den litauischen Markt hergerichtet.

Der zweite Fahrtag beginnt unter einer schweren Wolkendecke. Leichter Niesel begleitet mich anfangs. Der zunehmende Nordwestwind ist kalt und blaest mir teilweise entgegen. Bis Kupiskis klart es dann sogar auf. Jetzt aber entlaedt sich ein heftiger Schauer, den ich zum Glueck im ueberdachten Eingang eines Einkaufszentrums abwarten kann. Trotz spaeter Stunde starte ich noch nach Birzai. Eine Wolke mit leichten Regen treibt mich vor sich her. Nach 105 km bin ich in der lebendigen Kleinstadt. An der Tankstelle erhalte ich - wieder einmal die Beschreibung des (langen) Wegs zum einzigen Hotel. Zwei junge Maenner erbarmen sich meiner Hilflosigkeit und fahren mit ihrem Gelaendwagen voraus, so dass ich bis zum Hotel folgen kann. Es liegt idyllisch an einem der Seen, waere aber kaum zu finden gewesen.

Heute Morgen gibts seit langem mal wieder ein ausgiebiges Hotel-fruestueck. So gestaerkt fahre ich die ersten 50 km trotz scharfem Gegenwind durch. Die offenen Felder bis zur lettischen Grenze bieten keinerlei Schutz gegen den erbarmungslosen Wind. Zum Glueck verlauft die Strasse in Lettland dann vorwiegend im Wald. So habe ich doch noch Hoffnung die 100 km bis Riga zu schaffen. Einen kleinen Umweg goenne ich mir an der Staumauer von Salaspils. Der grosse Daugava-Fluss wird hier auf etwa 20 m ueber Gelaende aufgestaut. Ein grosses Kraftwerk erzeugt regenerative Elektrizitaet. Allerdings sind die schweren Hochspannungs-transformatoren keine zwei Meter von der Strasse entfernt. Es brummt und knistert gespenstisch.

Die Stadteinfahrt am rechten Ufer erlaubt, die zunehmende Verstaedterung des Ufers auf den letzten 15 km zu beobachten. Zuletzt gelangt man auf einer aufwaendig trassierten Stadtautobahn entlang des Ufers direkt an den Rand der Altstadt. Im "Backpackers Planet" erhalte ich fuer 11 Letva (= 14 Euro) ein Einzelzimmer. Es ist in eine ehemalige Lagerhalle direkt gegenueber der Markthalle und des Bahnhofs eingebaut. Der Fussgaengertunnel durch den Bahnhof fuehrt direkt in die Altstadt...

Viele Gruesse aus dem naechtlichen Riga

Joachim Heidinger