7. April 2015

Bora

Hallo liebe Leser,
 
drei sehr abenteuerliche Tage habe ich ueberstanden. Manches war grenzwertig, manches eher entspannt.
 
Am Ostersonntag breche ich aus Karlobag auf, um mich auf die Bergtour nach Senj zu machen. Obwohl die Strasse der Kuestenlinie folgt, steigt sie auf fast 300m am Abhang des Velebit-Gebirges. Wegen leichtem Nieselregen verwende ich das Regencape.
 
Ich bin noch nicht aus der ersten Kurve hinter dem Ortsschild hreraus, da blaest der Wind das Regencape auf wie einen Luftsack. Der Gegenwind zerrt am Cape und damit am Lenker, sodass an ein Weiterkommen nicht zu denken ist. Die folgende Boe von hinten stuelpt das Regencape ueber den Kopf, sodass meine Sicht vollkommen verschwindet.
 
Der eng anliegende Anorak bringt kurzzeitig Entspannung. Bis zum naechsten Taleinschnitt. Eine Boe reisst das Rad auf die Seite. Nur mit knapper Not kann ich einen Sturz verhindern. Bora heisst dieser beruechtigte Sturm, der im Fruehjahr nach einem Kaltluftstau hinter den Bergen den Abhang zum Meer hinunterrast. Geschwindigkeiten bis zu 150 km/h werden gemessen.
 
Das Meer zeigt Gischtstuerme, die sich nicht wieder senken, sondern ungebremst die gegenueberliegende Inselkueste treffen.
 
Zunehmend verwende ich eine Taktik, die mir ermoeglicht, mit dem Sturm umzugehen. Durch die vielen Kurven aendert sich die Windsituation fuer mich andauernd. Gegen den Wind kann ich nur Schieben. Dabei muss das Rad genau in Windrichtung gehalten werden, sonst kippt es gnadenlos um. Bei einer heftigen Boe werde ich aber samt gebremstem Rad zurueckgedruckt. Da hilft nur flach auf den Lenker beugen und kurz abwarten. Auf Seitenwind laesst sich am besten beim Fahren reagieren - durch entsprechende Schraeglage. Beim Schieben wuerde ich samt Rad umgedrueckt. Rueckenwind kann so stark sein, dass sich das Rad trotz angezogener Bremsen weiter beschleunigt. In den Windwirbeln bei Gelaendeeinschnitten aendert sich die Windrichtung im Sekundenabstand. 
Dazwischen gibt es aber ruhige Phasen im Windschatten von Mauern und angeschnittenenen Haengen. Das motiviert mich, weiter zu fahren und den Kampf mit dem Bora aufzunehmen. Nach 25 km erreiche ich die Zufahrt zur Faehre nach Rab. Dort hatte ich vor zwei Jahren schon - damals wegen durchdringenden Dauerregens - nach einer Unterkunft gesucht und bin bei der slowenischen Familie Kir in einem wunderschoenen Ferienappartment gelandet. Ich vertraue dem Zufall und fahre wieder dorthin. Tatsaechlich sind beide wieder dort - diesmal sogar mit der ruestigen Urgrossmutter. Es gibt ein freudiges Wiedersehen und natuerlich das gleiche Appartment.
 
Bora reisst die ganze Nacht weiter an allem, was nicht fest genug ist. Mehrere Stunden faellt nachts der Srom aus. Am naechsten morgen beweist die Blick vor die Haustuer, bzw. aufs Meer, dass sich die Situation nicht gebessert hat. Ich versuche, meine Gasteltern zu motivieren, eine Auskunft ueber Busverbindungen nach Rijeka zu finden - es gibt nur vage Andeutungen, ob Busse ueberhaupt fahren. Offiziell ist die Strasse wegen des Sturms schon ab Sonntag fuer Busse, Wohnwagen und Motorradfahrer gesperrt. So bleibe ich - wie damals - einen zweiten Tag, versuche zu Fuss wieder zur Tankstelle an der Abzweigung vorzudringen. Auch dort gibt es nur vage Andeutungen - und ueberhaupt ist man sich nicht sicher, ob ein Fahrrad mitgenommern wird...
 
Wie durch einen Schalter abgestellt,  endet der Sturm gegen 13:00 Uhr. Bei Sonnenschein und lauer Fruehlingsluft wandere ich auf der historischen Strasse zurueck. Soll ich jetzt noch aufbrechen nach Senj ? Ich habe der Wirtin doch schon den zweiten Tag zugesagt. Ausserdem wird es eng mit der Zeit fuer die verbleibenden 40 km.
 
In der Nacht nimmt der Wind wieder zu - ich mache mir Gedanken ueber eine eventuell verpasste Chance, ueberhaupt von hier wieder wegzukommen.
 
Heute Morgen herrscht ein heftiger, aber nicht stuermischer, eisiger Nordwind. Er treibt Schneeflocken vor sich her. Dennoch beschliesse ich aufzubrechen nach Senj - exakt nach Norden - also gegen den Wind. Es wird anstrengend aber ungefaehrlich. Nach 4 Stunden durch Schneestuerme und Gegenwind erreiche ich Senj. Im Fahrkartenverkauf von "Autotrans" erfahre ich, dass in 15 Minuten ein Bus nach Rijeka faehrt, der mein Fahrrad mitnimmt. Angesichts der Erfahrungen der letzten beiden Tage nehme ich das Angebot wahr und verzichte auf die letzen beiden Radetappen.
 
Ironischerweise klart es auf und wird fruehlingshaft warm auf der Kuestenstrecke. Auch der Nordwind gibt auf.
 
So bin ich um 15:00 Uhr, zwei Tage frueher als geplant in Rijeka - wieder in der JH gelandet. Einen Zug mit Fahrradtransport nach Zagreb gibt es auch noch, um 05:54 oder 17:15 - ideale Zeiten....
 
Viele Gruesse aus dem fruehlingshaften Rijeka
 
Joachim Heidinger