27. September 2011

Berlin

Hallo liebe Reisefreunde,

heute bin ich in Berlin eingelaufen !!! Ich komme gerade aus der Berliner Philharmonie. Es gab das Oratorium "Judas Maccabäus" von G.F. Händel. Eine Aufführung mit historischen Instrumenten und einem ausgezeichneten Chor.

Zunächst aber die Reiseerlebnisse bis hierher.

Nachdem ich in Klaipeda die Schiffspassage nach Sassnitz gebucht habe, bleiben fast zwei Tage Zeit, die relativ große Stadt kennen zu lernen.
Sie ist stark geprägt von den riesigen Hafenanlagen. Von der Altstadt ist eigentlich nur eine Straße vollständig restauriert - vor allem barocke Bürgerhäuser. Das Highlight liegt auf der anderen Seite des Haffs: die kurische Nehrung. Ein durchgehender Sandstrand über fast 100 km - davon 50 km in litauischer Zugehörigkeit. Fast 20 km radle ich direkt im festen Sand - die Brandung im Blick. Zurück gehts über die durchgehende Straße nach Kaliningrad. Vor allem abends rasen russische Fahrzeuge der Oberklasse wieder in Richtung russischer Enklave.

Der Abreisetag macht es mir leicht, Litauen zu verlassen: es ist bedeckt, regnet schließlich beim Einchecken. Das besondere der Fähre sind die 9 langen Gleise, auf denen russische Güterwagen nach Mukran (Rügen) trajektiert werden. Interessant sind die Rangiermanöver beim Be- und Entladen des Schiffes.

Als wir schließlich pünktlich ablegen, wird uns mitgeteilt, dass das Schiff wegen des Wetters (Gegenwind) mit 4 Stunden Verspätung ankommen wird. Das bringt meinen Plan, noch am gleichen Tag bis Stralsund zu fahren, ins Wanken. Immerhin ist in Sassnitz schönes Wetter, als wir anlegen. Aber der Gegenwind trifft auch mich auf der gesamten Route über Bergen und Altefähr. Als ich schließlich im geplanten Hostel am Hafen ankomme ist es bereits dunkel. Ich werde überrascht von der Meldung "Ausgebucht". Etwas zu insistieren, hilft aber auch hier. In einen Fünferzimmer im Keller kann ich das zweite Bett belegen - drei bleiben sogar frei...

Auch in Stralsund gönne ich mir einen Besichtigungstag. Vor allem die riesigen gotischen Backsteinkirchen prägen das Stadtbild. Am Hafen liegt die Vorgängerin der "Gorch Fock". Die Altstast ist umgeben von Parks und Wasserflächen.

Der erste lange Reisetag nach Neubrandenburg geht über 100 km. Vor allem die schöne Altstadt von Greifswald überrascht mich unterwegs. In Neubrandenburg gibt es eine geschlossene Stadtmauer - von der Altstadt darin ist aber vieles durch DDR-Beton ersetzt worden.

Der nächste Tag führt bis Zehderick. Ab Neustrelitz über Fürstenberg folge ich der Havel. Ihr Lauf besteht eigentlich aus einer Kette zusammenhängender Seen, die von Freizeitschiffern bevölkert sind. Das Gefälle bis Berlin beträgt kaum 10 m und wird mit Schleusen überbrückt.

In Zehderick finde ich ein Privatzimmer für 15 Euro im ausgebauten Keller eines Privathauses. Leider ist die Außenwand des Kellerraumes total sporig. Das schlägt sich über Nacht auf meine Bronchien - es erzeugt leichtes Halsweh. Ich hoffe, das legt sich bei dem warmen Wetter der nächsten Tage.

Heute macht die Sonne zunächst Pause. Es regnet, als ich in die Außenbezirke von Berlin fahre. Dennoch kann ich die Mittagspause auf dem Alexanderplatz halten. Von hier sind es noch 5 km bis Charlottenburg zum geplanten Hostel am Spandauer Damm. Ich komme in einem Viererzimmer für 15 Euro unter.

Die erste Stadterkundung führt ins Kulturkaufhaus "Dussmann". Dort erfahre ich auch das abendliche Konzertprogramm. Die Gelegenheit ist günstig, gleich heute die Berliner Philharmonie von innen kennen zu lernen.

Viele Grüße aus Berlin

Joachim Heidinger

20. September 2011

Klaipeda

Hallo liebe Leser,

Zwei Tage in Riga sind kulturelle Highlights. Nach der verregneten Ankunft klart es abends auf. Ich frage im Hostel nach dem Opernprogramm - das Internet weiss alles... Heute gibts ein Ballet (schon wieder..) nach der Musik von Franz Liszt, morgen den "Barbier von Sevilla", Oper von Rossini.

Gleich heute starte ich also noch zum Opernhaus (nur 10 min Fussweg) und erhalte fuer 2.50 Euro eine Stehplatzkarte - die preiswerteste Sitzkarte kostet auch nur 4 Euro. Tatsaechlich sind aber so viele Plaetze frei, dass ich auch nicht stehen muss. Die Auffuehrung begeistert nicht ganz so wie die in Tallinn - dennoch aber solide mit hervorragenden Musikern.

Den Zweiten Tag nutze ich, die linke Flussseite von Riga kennen zu lernen. Die Sanierungsarbeiten sind noch nicht bis hierher vorgedrungen - ein Strassenbild wie in den fuenfziger Jahren. Ausnahme ist eine Insel zwischen Fluss und Hafenkanal: Dort enstehen neue Buerohaeuser mit attraktivem Blick auf die Skyline von Riga.

Der Opernabend ist einzigartig: Die Handlung wird in die Zeit der franzoesischen Revolution verlegt, Figaro ist ein Faktotum zwischen Anfuehrer einer verwahrlosten Jakobinergruppe und Gewinner beim Einschmeicheln bei den Adligen. Er singt und spielt alle an die Wand...

Der Sonntag ist nun Abreisetag nach Liepaja. Der einzige Zug faehrt erst 18:30 Uhr und ist kurz vor 22:00 Uhr am Ziel. So habe ich noch einen ruhigen Sonntag mit Gotesdienstbesuch und Kunstmuseum.

Die Abfahrt verzoegert sich um 25 Minuten - weil der Zug schon einen Vorlauf hat. Einsteigen ist wie immer abenteuerlich: etwa 1 Meter hoch muss ich Gepaeck und Fahrrad ueber eine leiteraehnliche Wagentreppe stemmen. Der Zug rattert ueber eine schlecht gewartete Nebenstrecke - die einzige aber, die noch an die suedliche Ostseekueste fuehrt. Trotz spaeter Ankunft finde ich dank der Karte im "Lonely Planet" das versteckt liegende Hostel. Fuer nur etwa 9 Euro gibts ein Bett im Viererzimmer. Das Hostel ist weitgehend leer. Eigentlich stellt man sich hier schon auf die Wintersaison ein.

Der naechste Tag ist nochmals ein Radreisetag. 100 km gehts an der Kuestenstrasse entlang nach Klaipeda. Der Himmel zeigt vielversprechend zunaechst nur leichte Bewoelkung, die aber im Laufe des Tages zunimmt. Am Ziel regnet es leicht aber dauerhaft.

Unterwegs besuche ich fuer eine kurze Pause das Seebad Palanga 30 km vor Klaipeda. Mit EU-Mitteln ist ein nagelneuer Flughafen entstanden. Bisher kann man aber nur nach Riga, Oslo oder Kopenhagen fliegen.
In Klaipeda finde ich das direkt gegenueber vom Busbahnhof liegende Hostel. Nur zwei Zimmer mit je 12 Bwetten gibts und eine (!) Dusche. Ich bin aber froh fuer die naechsten Tage preiswert unter zu kommen.

Um nun ein Ticket fuer die Faehre zu buchen, versuche ich mein Glueck beim Faehrhafen. Dieser ist weit ausserhalb der Stadt nur ueber eine abenteuerliche Nebenstrasse erreichbar, mindestens 10 km Fahrt. Als ich dort bin, ist das DFDS Lisco Buero schon geschlossen. Ich solle morgen in ein Buchungsbuero in der Altstadt gehen...

Heute nun bekomme ich problemlos die gewuenschte Buchung fuer den 22.09. Ich buche Schlafsessel mit Fruehstucksbuffet und Fahrrad-Ticket fuer 58 Euro.

Dann gehts auf die kurische Nehrung. Die Sonne scheint strahlend. Es gibt nur leichen Westwind - ideales Wetter also fuer die Radtour. Eine Faehre bringt mich auf die Halbinsel - tatsaechlich fliesst also die Memel erst in Klaipeda ins Meer. Auf der Nehrung ist ein verzweigtes Radwegenetz entstanden, meist sogar asphaltiert. Leider verlaeuft der Weg aber durchweg hinter der Duene. Deshalb goenne ich mir die etwas anstrengendere Fahrt direkt im Sand. Fast durchweg ist er so hart, dass das Rad nicht einsinkt. Unterwegs treffe ich mehrere Bernsteinsammler. Es gibt immer noch etwas zu finden...

Der Rueckweg ist dann einfacher auf der durchgehenden Strasse an der oestlichen Seite zum Haff. Immer wieder oeffnen sich Blicke auf die riesigen Hafenanlagen von Klaipeda. Auf der hoehen Duene sitzend geniesse ich zum Abschluss die sinkende Sonne ueber der Ostsee. Schade, dass ich nicht bis zum Sonnenuntergang hier sitzen bleiben kann.

Viele Gruesse aus Klaipeda

Joachim Heidinger

16. September 2011

Rueckreise

Hallo liebe Reisefreunde,

zwei Tage goenne ich mir auch in Tallinn. Die Stadt brummt touristisch. Das mag an der Naehe zu Helsinki liegen oder am Matrathonlauf oder an der Auswahl als Kulturhauptstadt. Jeden Abend gibt es mehrere kulturelle Veranstaltungen. Am ersten Abend lande ich im Opernhaus: Nach der Musik von Sir Malcolm Arnold gibt es ein Ballett "Die drei Musketiere" - sehr englische Musik und perfekte Choreographie. Am zweiten Abend bin ich in der Karlskirche bei Verdis "Missa da Requiem" - ein absolutes Highlight musikalisch und in Bezug auf die Auffuehrung.

Ja die Stadt begeistert natuerlich auch. Nach dem regnerischen Start sind die naechsten beiden Tage gut bis sehr gut. Am Sonntag strahlt (zum letzten Mal) die baltische Sonne. Von der Oberstadt habe ich perfekte Ausblicke in die Altstadt und die Region. Der zweite Tag beginnt bewoelkt, klart dann aber auf. Schloss Kadriorg ist zunaechst das Ziel, ein Barockschloss, das an Ludwigsburg erinnert, dann der botanische Garten am Fluss Pirita - noch sehr urspruenglich, obwohl kaum 5 km von der Stadtgrenze entfernt.

Auf dem Rueckweg erfahre ich, dass am Sonntag die "St. Peter Line" fuer 49 Euro (Kabine !) nach St. Petersburg und zurueck gefahren ist und, dass es fuer solche Zwecke ein Drei-Tage-Visum fuer 20 Euro gibt - leider eine verpasste Chance...

Der dritte Tag sollte eigentlich der Abreisetag sein. Dauerregen bewegt mich, auch hier noch einen Tag dranzuhaengen. Das KuMu, das grosse Kunstmuseum (Das Gebaeude ist schon ein Hit) besuche ich. Es gibt estonische und russische Malerei aus der Vor- und Nach-Stalinzeit. Dazwischen tricksen sich estonische Maler so durch...

Auch der naechste Tag ueberzeugt mich nicht, weiter Rad zu fahren. So verfolge ich meinen urspruenglichen Plan und fahre mit der Bahn in die Universitaetsstadt Tartu. Das Fahrrad kann ich voll beladen in den Zug schieben. Tartu hat einen vorbildlich restaurierten Rathausplatz mit geschlossen klassizistischer Gebaeudefront und einen eigenen Universitaetsberg. Auf diesem steht noch die Ruine des Domes, der vor 200 Jahren abgebrannt und nicht wieder aufgebaut wurde. Drum herum siedeln sich die verschiedenen Fakultaeten an. Vor allen Anatomie und Embriologie wurde hier bereits im 18. Jhdt. entwickelt.

Am zweiten Tag in Tartu versuche ich auf einer 40 km-Exkursion nochmals das Fahrrad zu bewegen. Ein bissiger Westwind macht das Radfahren in dieser Richtung zur Qual - und in dieser Richtung gehts 300 km nach Riga.

Heute Morgen herrscht auch in Tartu Dauerregen. Also nutze ich die einzige Zugverbindung nach Riga: mit dem Bummelzug in die Grenzstadt Valka, dort umsteigen in den naechsten Bummelzug nach Riga. Insgesamt ist man 4 1/2 Stunden unterwegs. Dafuer ist es trocken und das Fahrrad kann mit Gepaeck mitgenomen werden.

Hier komme ich wieder im gleichen Hostel wie vor zwei Wochen unter. Inzwischen hat auch hier die Oper ihr Programm gestartet.

In zwei Tagen gehts weiter - wahrscheinlich mit dem Zug nach Liepaja. Von dort sind es dann nur noch 90 km nach Klaipeda, wo die Faehre nach Sassnitz abfaehrt. Aus der urspruenglich geplanten Kuestentour entlang der lettischen Kueste wird wohl nichts mehr. "Es ist Herbst und da regnet es in Lettland", ist der Kommentar der Hostelbetreiberin.

Viele Guesse also nochmals aus Riga

Joachim Heidinger

10. September 2011

Tallinn

Hallo liebe Reisefreunde,

soeben bin ich in Tallin eingelaufen. Zuletzt verlief die Reise jedoch etwas holprig...

Doch der Reihe nach:
In Riga moechte ich eigentlich zwei Tage bleiben. Dauerregen am Vormittag des Abreisetages veranlasst mich aber, noch einen Tag dranzuhaengen. Der erste Tag ist der Stadt und seinen politischen Museen gewidmet. Dargestellt wird vor allem der Schrecken der russischen Besatzung. Die Deutschen kommen relativ glimpflich davon, obwohl sie in Riga auch alle Juden ermordet haben.

Am Nachmittag schlendere ich durch die riesigen Markthallen direkt neben dem Hostel. Es sind ehemalige Zeppelin-Hangars. Dort gibt es alles, vor allem aber spottbilige Lebensmittel...

Am zweiten Tag besuche ich zuerst das Jugendstielviertel der Stadt. Eine komplette Strasse mit eindrucksvollen mehrstoeckigen Jugendstilhausern ist erhalten geblieben und zumeist hervorragend renoviert.

Am Nachmittag fahre ich mit der S-Bahn ins benachbarte Seebad Jurmala. Ein gigantischer Sandstrand liegt vor den mondaenen Villen, der jetzt fast leer ist. Strandwanderer oder -radfahrer ueberwiegen. Den Regentag nutze ich fuer weitere Museen: zuerst das eher enttaeuschende Eisenbahnmuseum, dann die mehr zufaellig zusammengetragene staatliche Kunstsammlung.

Am naechsten Tag geht es endlich weiter bis Salacgriva, kurz vor der estischen Grenze. Anfangs nutze ich eine Nebenstrasse entlang der Kueste. Dann muss ich weiter auf der "Via Baltica" , der Fernstrasse nach Tallinn fahren. Mit zunehmender Entfernung von Riga nimmt die Qualitaet der Strasse ab, der LKW-Verkehr aber nicht. In Salacgriva finde ich ein Zimmer in einem Hotel, das vorwiegend als Pflegeheim fuer Senioren genutzt wird (ohne Lift). Der naechste Tag ist stark bewoelkt. Kurz hinter der Grenze zu Estland beginnt eine wunderschoene Radroute abseits der Fernstrasse. Nach 30 kim endet leider das Vergnuegen. Es bleibt nur der Weg auf der Fernstrasse. Unterwegs rette ich mich wieder in ein Buswartehaeuschen vor dem einsetzenden Regen. Dabei begegnen mir zwei junge Maenner, die von Tampere nach Hannover trampen wollen (in 16 Tagen). Sie uebernachten nur im Zelt, im Wald. Heute nimmt sie aber niemand mit. So marschieren sie im Regen weiter entlang der Fernstrasse.

Abens bin ich im Seebad Paernu. Dort komme ich in einem preiswerten Hostel unter. Die Saison ist hier bereits bgeendet. Die Strandpromenade ist verwaist. Nur ein paar Kite-Surfer nutzen den Wind und das flache Wasser. Gestartet wird im Flachwasser liegend, wenn der Wind den Drachen so stark treibt, dass er zum Aufstehen reicht.

Gestern nun fahre ich zuerst in Richtung Westen nach Lihula, um der Fernstrasse zu entkommen. Auf der Weiterfahrt auf der N 10 ueberrascht mich erstmals ein Schauer, dem ich nicht entkommen kann. Alles wird ziemlich nass... Auf der Suche nach einer Unterkunft beginnt dann das erste Problem. Nach langem Fragen und Telefonieren ergibt sich, dass es in Laiste ein Hotel im alten Schloss geben soll. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreiche ich das Haus. Das Zimmer kostet erbarmungslos 62 Euro, derselbe Preis wie fuer zwei Personen. Ich beschliesse zunaechst mit der nahen S-Bahn noch nach Tallinn zu Fahren. Am Bahnhof schaue ich nochmals auf die Hotelbeschreibung: Sie bietet auch Camping an. Also gehts wieder zurueck. Ich darf im Schlossgarten mein Zelt aufstellen. Es gibt aber keine Infrastruktur (Dusche, Toilette). Nachts beginnt es wieder zu regnen. Morgens ist das Zelt durchgaengig nass.

Ich raeume trotzdem ein und begebe mich auf die loetzten 40 km nach Tallinn. Obwohl ich schon mittags dort bin, sind alle Hostels ausgebucht !! Dies sei jedes Wochenende so. Wenn in den anderen Staedten schon das Gefuehl von Nachsaison aufkommt, herrscht hier noch touristische Hauptsaison.

Nach vielen Versuchen, bei denen mir jeweils die Hostelbetreiber weiterhelfen, finde ich das letzte Bett in einem etwas ausserhalb liegenden Haus. Das aber nur, weil kurz vorher jemand seine Vorausbuchung wieder zurueckgezogen hat. Glueck also...

Viele Gruesse Tallinn

Joachim Heidinger

3. September 2011

Riga

Hallo liebe Leser,

in Vilnius goenne ich mir zwei Tage Pause. Ein Bummel durch die Altstadt beginnt an der Kathedrale des Erzbistums, geht ueber den Burgberg, den Gruendungsort der Stadt, durch die Gassen mit den kleinen Kreativlaeden und endet an der juedischen Synagoge, der einzigen, die die Deutschen haben stehen lassen.

Das Feindbild der Litauer wird aber - anders als in Polen, wo noch heute die russischen Panzer auf dem Denkmalssockel stehen - vorwiegend von der russischen Besetzung, weniger von den Ereignissen im zweiten Weltkrieg gepraegt. Und das, obwohl in Vilnius ein Drittel der Bevoelkerung von Deutschen ermordet wurde, naemlich der sehr hohe juedische Anteil. Im KGB-Museum in Vilnius werden nicht nur die Akten zur Einsichtnahme offen gelegt, sondern auch die Folterkammern im Keller gezeigt.

Abends singt der Kammerchor aus Belarus in der Jakobskirche. Hervorragender Chorklang ueberzeugt bei der russisch-deutschen Auswahl.

Den zweiten Tag lasse ich ruhiger angehen. Ein Bummel durch die Markthalle und den angrenzenden Basar erinnert an tuerkische Staedte. Der Ausflug zum 5 km entfernten Flughafen belegt das geringe Verkehrsaufkommen. Nur kleine Flugzeuge koennen hier landen. Immerhin erreicht man verschiedene europaeische Hauptstaedte: London, Bruessel, Riga,... Am Nachmittag komme ich zufaellig durch den riesigen Vingio-Park. Er besitzt eine gigantische Konzertmuschel mit Bestuhlung - offenbar fuer die Saengerefeste. Heute wird wieder eine grosse Rockbuehne aufgebaut. Sie wirkt eher klein gegen die Kuppel dahinter.

Auch heute Abend ist Kammerchor angesagt - diesmal der aus Vilnius. Er singt einen kompletten EvenSong, dann noch Chormusik franzoesischer Komponisten - leider begleitet von einer elektronischen Orgel...

Nach drei strahlenden Sonnentagen in Vilnius ist der Abreistag nun stark bewoelkt. Auf der A14 fahre ich nach Utena (96 km). Angesichts des geringen Verkehrsaufkommens ist es hier kein Problem, auch Fernstrassen mit dem Fahrrad zu nutzen. Oft bin ich auf der Strasse allein. Sie ist aber gut ausgebaut, so dass ich schnell voran komme. Einziger Ort unterwegs ist Moletai im litauischen Seengebiet. Die Seein sind hier aber kleiner als in Masuren und nicht miteinander verbunden. Der Tourismus ist daher noch gering.

In Utena begruessen mich riesige Gebrauchtwagenhaendler. In grossen Autotransportern werden Altfahrzeuge aus Europa hierher transportiert und fuer den litauischen Markt hergerichtet.

Der zweite Fahrtag beginnt unter einer schweren Wolkendecke. Leichter Niesel begleitet mich anfangs. Der zunehmende Nordwestwind ist kalt und blaest mir teilweise entgegen. Bis Kupiskis klart es dann sogar auf. Jetzt aber entlaedt sich ein heftiger Schauer, den ich zum Glueck im ueberdachten Eingang eines Einkaufszentrums abwarten kann. Trotz spaeter Stunde starte ich noch nach Birzai. Eine Wolke mit leichten Regen treibt mich vor sich her. Nach 105 km bin ich in der lebendigen Kleinstadt. An der Tankstelle erhalte ich - wieder einmal die Beschreibung des (langen) Wegs zum einzigen Hotel. Zwei junge Maenner erbarmen sich meiner Hilflosigkeit und fahren mit ihrem Gelaendwagen voraus, so dass ich bis zum Hotel folgen kann. Es liegt idyllisch an einem der Seen, waere aber kaum zu finden gewesen.

Heute Morgen gibts seit langem mal wieder ein ausgiebiges Hotel-fruestueck. So gestaerkt fahre ich die ersten 50 km trotz scharfem Gegenwind durch. Die offenen Felder bis zur lettischen Grenze bieten keinerlei Schutz gegen den erbarmungslosen Wind. Zum Glueck verlauft die Strasse in Lettland dann vorwiegend im Wald. So habe ich doch noch Hoffnung die 100 km bis Riga zu schaffen. Einen kleinen Umweg goenne ich mir an der Staumauer von Salaspils. Der grosse Daugava-Fluss wird hier auf etwa 20 m ueber Gelaende aufgestaut. Ein grosses Kraftwerk erzeugt regenerative Elektrizitaet. Allerdings sind die schweren Hochspannungs-transformatoren keine zwei Meter von der Strasse entfernt. Es brummt und knistert gespenstisch.

Die Stadteinfahrt am rechten Ufer erlaubt, die zunehmende Verstaedterung des Ufers auf den letzten 15 km zu beobachten. Zuletzt gelangt man auf einer aufwaendig trassierten Stadtautobahn entlang des Ufers direkt an den Rand der Altstadt. Im "Backpackers Planet" erhalte ich fuer 11 Letva (= 14 Euro) ein Einzelzimmer. Es ist in eine ehemalige Lagerhalle direkt gegenueber der Markthalle und des Bahnhofs eingebaut. Der Fussgaengertunnel durch den Bahnhof fuehrt direkt in die Altstadt...

Viele Gruesse aus dem naechtlichen Riga

Joachim Heidinger
 

29. August 2011

Vilnius

Hallo liebe Leser,

nach einer weiteren Woche bin ich nun in der Hauptstadt Litauens, in Vilnius eingetroffen. In der Jugendherberge gibt es wieder kostenlosen Internetzugang - mit einigen Stoerungen...

In Warschau habe ich zwei Naechte verbracht. Die Stadt hat vieles zu bieten, was nach der Zerstoerung im 2. Weltkrieg wieder aufgebaut wurde. Erinnert wird auch an die Zeit des Warschauer Gettos. Am zugehoerigen Demkmal hat damals Willy Brandt seinen Kniefall vollzogen. Diesem Ereignis ist eine eigener Gedenkstein gewidmet. Auch heisst der Platz heute nach Willy Brandt.

Die Museen fuer Marie Curie (geboren in Warschau) und Adam Makiewicz, polnischer Dichter aus Vilnius (!) zeugen von der polnischen Wissenschaft und Kultur der Vergangenheit.

Die Ausfahrt aus der Stadt am naechsten Morgen beginnt zunaechst wieder mit etwas Autobahn-Stress. Auch die Nebenstrasse traegt heftigen Verkehr - schmale Strasse mit viel Schwerverkehr. In Pultusk ueberrascht mich wieder ein kurzes Gewitter. Nach einer Stunde gehts weiter - auf nasser Strasse mit entsprechender Dusche beim Ueberholen von LKWs.

In Rozan finde ich in einem etwas undurchsichtigen Hotel ein Zimmer. Die aufdringliche Freundlichkeit der angetrunkenen Gaeste im sonst leeren Restaurant geht mir dann doch auf die Nerven.

Der naechste Tag fuehrt bereits nach Masuren. Am Suedrand in Zgon finde ich ein ueberraschend angenehmes Zimmer in einem Privathaus fuer nur 50 Zloty. Die Dusche ist etwas rustikal in einer Bretterhuette auf dem Hof untergebracht...

Der Weg an den masurischen Seen entlang fuehrt ueber die klassische Schiffsroute von Ruciane-Nida ueber Mikolajki nach Gizycko. Dort komme ich in der "Feste Boyen" in der ehemaligen Jugendherberge fuer nur 25 Zloty unter. Es gibt noch die uebliche Infrastruktur eines Hostels - aber niemand kuemmert sich um den schleichenden Zerfall.

Einen Tag auf den Seen goenne ich mir von hier aus. Morgens faehrt ein oeffentliches Schiff von Gizycko ueber mehrere Seen und Verbindungskanaele wieder zurueck nach Mikolajki. Ich geniesse die Fahrt und die Sicht vom Wasser auf die idyllischen Badebuchten. Hier sind hunderte von Segeljachten unterwegs, die man an den jeweiligen Orten fuer wenig Geld mieten kann.

Ab nun geht es strikt nach Osten. Die Sonne scheint jeden Tag heisser, der Wind dreht sich auf einen stuermischen Suedwind - das verheisst weiterhin gutes Wetter. Ueber Olecko fahre ich heute nach Suwalki, der letzten Station in Polen. Dabei treffe ich drei junge deutsche Studenten aus Rostock, die ebenfalls mit den Rad nach Vilnius unterwegs sind. Sie uebernachten aber meist mit Zelt im Wald - nichts fuer mich. Am Sonntagmorgen treffe ich sie in Trakai wieder - nach einer Nacht im Wald...

In Suwalki waehle ich zur Abwechslung den privaten Campingplatz - sozusagen im Vorgarten eines Privathauses, weil das oertliche Hotel noch mit sozialistischer Betonarchitektur abschreckt.

Die Einreise nach Litauen erfolgt genauso unkontrolliert wie die Einreise nach Polen. Es gibt aber schon wieder neues Geld. Leider stehen beim "Kantor" an der Grenze 20 Busreisende an, sodass ich in die naechste Stadt weiterfahre. Die steckt aber im samstaeglichen Nachmittagsschlaf - also hilft nur ein Geldautomat. Ein Euro sind ungefaehr 3,4 Litwa.

So versorgt mache ich mich noch auf die 45 km Steecke bis Alytus. Die Strasse ist breit, gut asphaltiert und fast ohne Verkehr. Die Litauer ueberholen mich grundsaetzlich ohne anzuhalten. Das ist heute ungefaehrlich, weil dem Gegenverkehr genug Platz bleibt. Am naechsten Tag kommt es aber vor einer Kuppe zu einem Beinahe-Zusammenstoss der PkWs.

In Alytus bin ich ziemlich ausgelaugt. Heute war es 30 Grad heiss. Daher bin ich froh, dass mir ein Tankstellenbesitzer mit Hilfe eines Stadtplans sofort das oertliche Hotel zeigt (Einzelzimmer fuer 60 Lt.)

Der Weg aus der Stadt wird am Sonntagmorgen mal wieder kompliziert, weil die offizielle Ausfahrt komplett gesperrt ist wegen Strassenerneuerung. Mehrfaches Fragen hilft aber, den richtigen Stadtausgang nach Trakai zu finden. Die Verhaeltnisse sind traumhaft: Dichte Wolken kuehlen die Luft ohne Regen, die Strasse ist breit, glatt und sonntaeglich ruhig. Nach 25 km mache ich Pause in eine seheswerten klassizistischen Holzkirche. Um 12:00 Uhr (OEZ) soll der Gottesdienst bginen. Der Pfarrer laesst sich aber Zeit - solange singt schon mal der Maedchenchor... Dann gibt es eine Taufe zu Beginn, zwei Lesungen und lange Psalmgesaenge. Nach einer Stunde (bei der Predigt) breche ich auf zur Weiterfahrt.

Die geplante Mittagspause in Rudiskies auf dem nagelneu renovierten Bahnhof (8 Zugfahrten am Tag) muss leider ausfallen, weil zwei Betrunkene aufdringlich werden. So bin ich schon um 17:00 Uhr in Trakai - nehme gleich am Ortseingang ein wunderschoenes Privatzimmer mit Garten zum See und begebe mich nach kurzem Imbiss im Zimmer zur eindrucksvollen Burg auf der Seeinsel. Eine Postkartenidylle erwartet mich, da inzwischen die Sonne scheint. Den Sonnenuntergang ueber dem See erlebe ich dann in der Hollywood-Schaukel auf dem privaten Angelsteg meines Quartiergebers...
Heute sind nur noch 26 km bis Vilnius zurueckzulegen. Die habens aber in sich. Nach vielversprechendem Anfang reduziert sich die gewaehlte Nebenstrasse auf die Breite eines asphaltierten Feldwegs mit breitem Schotterstreifen an den Raendern. Mehrere Verteilzentren fuer Litauen liegen an der Strasse. Die 40-Tonner rumpeln zur Haelfte ueber die Schotterpiste. Eine Bruecken-Baustelle ist zu durchqueren. Schliesslich lege ich rasant die letzten 10 km auf der Stadtautobahn - incl. 300 m Tunnel unter dem Parlamentsgebaeude zurueck.

Die (einzige) Jugendherberge in Litauen liegt etwas ausserhalb, laesst sich aber mit den Karten im "Lonely Planet" Reisefuehrer finden. Am Nachmittag breche ich zur Stadterkundung auf. Nach dem Einkauf im "Panorama" Shopping Center gelange ich zu einer Open Air Veranstaltung von TV 3 waehrend der die "EuroBasket 2011" eroeffnet wird. Es geraet zu einer Veranstaltung mit viel Nationalstolz in den Landesfarben Gelb-Rot-Gruen.

Viele Gruesse aus dem stolzen Vilnius

Joachim Heidinger

20. August 2011

Warschau

Hallo liebe Reisefreunde,

Inzwischen habe ich Warschau (Warszawa)erreicht. Die Fahrt war weniger anstrengend, da weitgehend flach, aber trotzdem spannend.

In Breslau bleibe ich noch einen weiteren Tag, auch um die gigantischen Shopping-Malls kennen zu lernen. Westlicher Standard wird hierbei noch uebertroffen. Die Preise sind dabei immer etwas geringer als bei uns.

Der grosse Hauptbahnhof ist eine einzige Grossbaustelle, der Zugang nur mit kilometerlangem Fussmarsch noch moeglich. Die Polen scheinen sehr geduldig zu sein... Fuer den Rest des Tages erkunde ich das ausgedehnte Tramsystem mit einer 24-Stunden-Karte fuer nur 10 Zloty. In den Aussenbezirken haben viele europaeische Mittelstandsbetriebe ihre Niederlassungen gebaut. In den Wohngebieten jenseits der Oder gibt es noch viel Renovierungsbedarf...

Der naechste Tag fuehrt in Richtung Lodz (gesprochen Wudsch). Da ich hauptsaechlich Nebenstrassen verwende, gibt es in den Doerfern keine Hotels oder Pensionen. So entschliesse ich mich, bis Blaszki weiterzufahren. Das gibt zusammen dann 120 km - meine bisher laengste Tagesetappe. Die Enttaeuschung ist gross, als das einzige Motel am Ort ausgebucht ist. Diese Enttaeuschung beeindruckt einen zufaellig in der Rezeption anwesenden Firmenvertreter so sehr, dass er fuer mich im Internet ein Hotel in 15 km Entfernung bucht und mich mit Gepaeck und Fahrrad auch noch im Firmen-Pickup dorthin faehrt. Es gibt doch noch Engel...

Am naechsten Morgen ist es strahlend sonnig - endlich ist Sommer. Den Abweg korrigiere ich durch eine Querspange - weg von der N12. Der Verkehr auf der schmalen zweispurigen Strasse ist moerderisch - vor allem die schweren LKWs lassen keinen Raum fuer Rafahrer. Auch auf den klassifizierten Nebenstrassen nimmt der Verkehr 15 km vor Lodz gewaltig zu. In beiden Richtungen gibt es durchgehende Kolonnen. Eine Ueberlandstrassenbahn bringt etwas Abwechslung, zum Teil faehrt sie im Gegenverkehr in der Mitte der Fahrbahn. Vor allem altbrauchbare Meterspurbahnen werden verwendet - manche ist den ausgedienten Ludwigshafener Bahnen sehr aehnlich...

Lodz bietet eine sehr schoen wieder renovierte Prachtstrasse mit Haeusern aus der Jahrhundertwende. Sie sind im Krieg zwar nicht zerstoert worden, aber in den 50 Jahren danach stark verfallen. Der Rest der Stadt braucht aber noch viel Zeit. Auch die Strassenbahnen fahren auf abenteurlichen Schienen - mit mehreren Gleisbruechen direkt vor der Jugendherberge. Eine Sammlung historischer Meterspurbahnen rattert vor dem Zimmerfenster vorbei.

Auf der Weiterfahrt wird es mittags schwuel heiss (ueber 30 Grad). Die Landschaft ist weitghend fruchtbares Agrarland. Nachdem die Maehdrescher das Getreide eingeholt haben, beginnt nun die Kartoffelernte. Auch grosse Gemuese- und Erdbeerfelder liegen dazwischen. Auf sandigen Abschnitten steht lichter Laub- und Kiefernwald. Vieles erinnert an die Vorderpfalz. Wie zu befuerchten braut sich gegen 15:00 Uhr ein schweres Gewitter zusammen. Ich fahre solange weiter wie moeglich. 10 km vor meinem geplanten Ziel Zyrardow gehts dann richtig los. Auch heute verlaesst mich mein Glueck nicht. Just hier gibt es einen kleinen Ort mit Buswartehaeuschen. Ein geduldiger Herr wartet hier ueber eine halbe Stunde auf seinen Bus. Mit Hilfe der Landkarte kann ich ihm ungefaehr erklaeren woher ich komme und wohin die Fahrt fuehrt. Nach eineinhalb Stunden kann auch ich weiterfahren. In dr Zeit plane ich schon die Unterbrngung in Warschau und die folgende Route nach Masuren.

Zyrardow liegt am Aussenring von Warschau, etwa 50 km vom Zentrum entfernt. Der rege LKW-Verkehr bricht gerade vollstaendig zusammen, weil drei Ampeln in Folge mit blockierenden Querverkehr den Fluss zum Erliegen bringen...Nach dreimaligem Fragen finde ich ein Motel mit guenstigem Zimmer fuer 80 Zloty.

Nachdem es gestern abend nochmals kraeftig geregnet hat, ist es heute morgen ueberraschend kuehl. Trotz Nebenstrecke ist der Verkehr von Anfang an heftig - viele schwarze Mittelklasse-Luxus-Karossen aus Warschau demonstrieren den neuen Reichtum der Hauptstadtbewohner. Sie sind besonders ungeduldig. Wenn die Strasse am rechten Rand zu sehr zerfahren ist, nutze ich mutig die Fahrspurmitte. Die Schlagloecher sind zum Teil gross und tief wie ein Kochtopf - dort hineinzugeraten bedeutet das Ende der Tour. Mit dieser Fahrweise bremse ich sogar 40-Tonner aus, wenn der Gegenverkehr kein Ueberholen zulaesst. Die meisten akzeptieren das geduldig.

Besonders aergerlich sind getrennte Radwege in den Ortschaften. Sie sind relativ neu angelegt, meist mit Hundknochenpflaster. Bei jeder Hauseinfahrt ist der Radweg abgesenkt, an Strassenquerungen bleiben 2 - 3 cm hohe scharfkantige Bordsteine, Glas von zerschlagenen Flaschen erhoeht die Panengefahr. Nicht immer nutze ich daher den Radweg. Das loest bei den Luxuskarossen dann erzieherisches Abdraengen aus...

Die Einfahrt in die Hauptstadt ist eine einzige Grossbaustelle. Aus bestehenden Strassenkreuzungen werden Autobahnkreuze gebaut. Auch hier ist es eine Entscheidung des schnellen Fortkommens die bis zu vierspurige Fahrbahn zu nutzen oder den mit dem Gehweg verschraenkten Radweg.

In der Altstadt komm ich - wie geplant - im Hostel Kanonia unter. Es ist in einem wenig renovierten Altstadthaus untergebracht. Deshalb gibt es pro Etage nur eine Dusche und ein WC, aber bis zu 10 Betten pro Zimmer !!. Zwei Naechte kosten nur 105 Zloty.

Der erste Stadtrundgang beeindruckt durch die vielfaeltige kulturelle Leben. Entlang der historischen Hauptstrasse vom Schloss ("Krakauer Promenade") liegen fast 10 sehr gut ausgestattete Kirchen, das Luxushotel "Bristol", private Palaeste und jede Menge schoene Altstadthaeuser. Auffaellig ist, dass in jeder Kirche eine Hochzeit gefeiert wird, in einigen gleich mehrere Hintereinander.

Den Abend beschliesst ein Open Air Jazz Konzert auf dem Altstadt-Markt.

Morgen bleibe ich einen weiteren Tag in Warschau. Es gibt noch viel zu sehen.

Viele Gruesse aus der sehr lebendigen Hauptstadt Polens.

Joachim Heidinger

15. August 2011

Breslau

Hallo liebe Leser,

nach nunmehr zwei Wochen Fahrt bin ich - wie geplant - in Breslau (Wroclaw) eingetroffen. Die Fahrt hierher war anstrengend und ereignisreich.

Zuerst bin ich - mit einigen Abkuerzungen - dem Mainradweg weiter gefolgt.
Bamberg - Wirsberg - Hohenberg waren die Zwischenstationen auf deutscher Seite. Uebernachtet habe ich jedesmal in der Jugendherberge, fuer Erwachsene inzwischen auch nicht mehr sehr preiswert (bis zu 30 Euro mit Fruehstueck).

Bamberg begeistert durch sein barockes Stadtbild. Die neue JH liegt in einer alten Villa, direkt gegenueber vom Dom. In Wirsberg traf sich gerade ein Radclub zum MTB-Training. Dabe fiel eine kostenlose Kettenreinigung fuer mein Fahrrad ab. Hohenberg ist die Wiege der fraenkischen Porzellanindustrie. Der saechsische Porzellanmaler Hutschenreuther begann hier eine eigene Produktion. Inzwischen sind die grossen Fabriken aber nach Selb oder Arzberg abgewandet. In Hohenberg bleibt jedoch das deutsche Porzellanmuseum.

Den Grenzuebertritt nach Tschechien begrenze ich aufs 20 km entfernte Eger (Cheb). Ein wunderschoener Marktplatz und eine staufische Burg begeistern den Besucher. Das Zimmer kostet hier nur noch 350 Kronen. Ich folge nun weitgehend dem Lauf der Eger abwaerts bis zur Elbe. Dabei besuche ich Karlsbad - Chomutov - Usti. Die Fahrtroute wechselt von idyllischen Nebenstrassen hoch ueber dem Egertal und der stark befahrenen Nationalstrasse, wo es keine Alternative gibt.

Zwischen Cheb und Karlovy Vary versuche ich den gut ausgeschilderten Egerradweg zu nutzen. Leider hatte ein Gewitter kurz zuvor Teile des nicht befestigten Waldwegs in rutschige Schlammpartien verwandelt. Seit langem mal wieder rutscht das schwer bepackte Vorderrad weg, so dass die ganze Fuhre im Schlamm landet. Ausser einer riesigen Sauerei sind aber keine Schaeden entstanden. Am Ausgang des Weges entschaedigt das bildschoen innerhalb der Egerschleife liegende barocke Staedtchen Loket - ein Touristenmagnet. Kaelovy Vary wird - dank russischen Geldes - jedesmal schoener - und teurer. 40 Euro kostet ein - zugegeben bildschoenes - Zimmer oberhalb der Stadt mit Blick auf die naechtlich beleuchteten Hotels.

Bis Chomutov nutze ich dann nur die "Autobahn", d.h. den Seitenstreifen der vierspurigen Schnellstrasse. Die von mir gewuenschte Route ist vor kurzem in einen riesigen Braunkohletagebau abgerutscht.

In Usti erreiche ich bereits die Elbe. In einer deutschsprachigen Radler-Pension treffen noch mehrere deutsche Radler ein. In Decin verlasse ich den traumhaften Uferweg wieder - das waere eine andere Reise, ihm bis Hamburg zu folgen. Es geht ueber das Zittauer Gebirge ins Tal der Neisse. In Zittau schlage ich erstmals mein Zelt auf, weil der Abendhimmel verspricht, dass es heute Nacht nicht regnet. Dennoch wird es unangenehm kalt.

Goerlitz nicht auszulassen raet mir ein Radler, der gerade eine Deutschlandumrundung entlang seiner Grenzen durchfuehrt. So radle ich dem Oder-Neisse-Radweg folgend bis Goerlitz und bleibe noch eine Nacht in Deutschland.

Dauerregen scheint am Morgen die Weiterfahrt unmoeglich zu machen. Bis Mittag klart der Himmel jedoch soweit aif, dass ich zur ersten Etappe durch Schlesien starten kann. Ziel ist Jelenia Gora (Hirschberg) am Rande des Riesengebirges. Ich komme so spaet an, dass das Infobuero bereits geschlossen hat, das Hostel ausgebucht ist. Durch Glueck finde ich einen Camping mitten in der Stadt. Fuer nur 18 Zloty kann hier der einzelne Zeltradler uebernachten. Neben mir stehen die Zelte zweier ebenfalls weitreisender junger Paare. Das Paar aus Frankreich ist seit September 2010 unterwegs mit dem Rad durch Kroatien - Serbien - Albanien - Griechenland - Tuerkei - Iran - Georgien - Ukraine - Polen. Das Paar aus Amsterdam plant eine Interrail-Reise durch die osteuropaeischen Staaten bis Instanbul. Da gibt es viele Reiseerfahrungen auszutauschen.

Gestern starte ich dann in Richtung Breslau. Eine katholische Kirche in Hirschberg verleitet mich, den polnischen Gottesdienst kennen zu lernen. Erst um 11.00 Uhr komme ich dann los. Daher wird eine Zwischenstation 40 km vor Breslau notwendig. In einem Hotel in Kostomtoty finde ich ein Zimmer.

Heute Morgen starte ich frueh. Die Orte sind verschlafen, es gibt kaum Verkehr. Allmaehlich daemmert mir, dass heute (15. August) ein hoher Marienfeiertag gefeiert wird. Tatsaechlich sind heute alle Geschaefte geschlossen - selbst die, die am Sonntag noch geoeffnet haben. Ich komme so bereits um 11.00 Uhr im Cinamon Hostel in Breslau an, erhalte ein Bett im Sechserschlafraum und kann mich nach dem Umkleiden auf eine geruhsame Stadtbesichtigung machen.

Im Gottesdienst werden Kraeuterstraeusschen geweiht - wie an Palmsonntag die Buchsstraeusschen. Es ist wohl Familienausflugstag. Breslau begeistert durch einen riesigen Marktplatz gesaeumt von reichen Kaufmannshaeusern. Sie mussten nach dem Krieg zu 60% rekonstruiert werden. Mittendrin stehen das alte und das neue Rathaus.

Das Wetter spielte bisher einigermassen mit. Es war zwar oft bewoelkt und nieselig. Richtig nass bin ich aber noch nicht geworden. Bei dem Gewitter am Egerradweg konnte ich mich rechtzeitig in ein Buswartehaeuschen retten.
Die Menschen, die mir begegnen sind - wie fast immer - dem alleinreisenden Radler gegenueber offen und hilfsbereit. Sprachbarrieren lassen sich mit Deutsch oder Englisch fast immer beheben. Gestern genuegten zwei Worte - pokoj = Zimmer und jeden = eins.

Viele Gruesse aus der reichen Kaufmannsstadt Breslau.

Joachim Heidinger

3. August 2011

Schweinfurt

Hallo liebe Leser,

die ersten drei Tage dienen - wie immer - zum Eingewöhnen an das Fahren
mit dem schwer bepackten Rad. Wieder ist die komplette Fernreiseausrüstung
geladen: Kleidung für warmes und kaltes Wetter, Regenschutz, Wäsche zum Wechseln, eine komplette Zeltausarüstung mit Schlafsack und Isomatte, Werkzeug für kleine Reparaturen, eine komplette "Küche" mit Topf, Pfanne, Gaskocher, Teller, usw. und natürlich Lebensmittel für den nächste Tag plus mindestens 4 Liter Wasser. Das wiegt dann rund 35 kg !

Meine geplante  Fahrtroute führt zunächst nach Osten: am Main entlang bis Bayreuth, dann durch den Norden von Tschechien bis in die südwestliche Ecke von Polen. Dieses Land durchquere ich dann diagonal über Breslau, Lodz, Warschau bis in die masurische Seenplatte. Diese grenzt an Litauen mit seiner Hauptstadt Vilnius.

Am ersten Fahrtag wähle ich diesmal den Weg über die "rheinhessische Weinstraße" von Worms nach Oppenheim. Eine Rheinfähre bringt mich auf die hessische Seite, dann folgen noch 30 flache Kilometer bis Darmstadt. In der JH an der Mathildenhöhe übernachte ich für 25 Euro im Mehrbettzimmer mit drei weiteren Einzelreisenden.

Am zweiten Tag führt die Strecke nach Lohr über Dieburg, Aschaffenburg, Laufach. Dort erklimme ich die Spessarthöhe auf einem nur geschotterten Feld- und Waldweg. Eine rasante Abfahrt nach Heigenbrücken belohnt die Anstrengung. Über Partenstein gelange ich nach Lohr - immer der Bahnstrecke folgend. Vom ICE bis zum schweren Ölzug fahren alle Züge auf der Relation Frankfurt - Würzburg über diese historische Strecke, Güterzüge in der Regel mit Schiebelok.

Von Lohr aus möchte ich eigentlich nach Bad Kissingen, ab Gemünden über das Tal der fränkischen Saale. Beim Telefonieren in Hammelburg erfahre ich jedoch, die JH in Bad Kissingen sei ausgebucht. So entscheide ich mich, heute schon über die ca 400 m hohe Wasserscheide zwischen Saale und Main zu schieben. Die 30 km werden wieder eine Herausforderung mit dem schweren Rad. Die letzten 15 km sind als Radroute ausgebaut, manchmal über so schlecht asphaltierte Wege, dass mir Bange wird um die Stabilität des verzurrten Gepäcks.

Das Jugendgästehaus in Schweinfurt ist nagelneu. Für 30 Euro gibts ein Einzelzimmer mit eigener Dusche. Internetnutzung ist kostenlos !

Nach drei sonnigen Tagen beginnt es heute Abend zu regnen. Ich hoffe, dass das Wetter morgen wieder besser wird.

Viele Grüße von der ersten Etappe.

Joachim Heidinger