15. August 2011

Breslau

Hallo liebe Leser,

nach nunmehr zwei Wochen Fahrt bin ich - wie geplant - in Breslau (Wroclaw) eingetroffen. Die Fahrt hierher war anstrengend und ereignisreich.

Zuerst bin ich - mit einigen Abkuerzungen - dem Mainradweg weiter gefolgt.
Bamberg - Wirsberg - Hohenberg waren die Zwischenstationen auf deutscher Seite. Uebernachtet habe ich jedesmal in der Jugendherberge, fuer Erwachsene inzwischen auch nicht mehr sehr preiswert (bis zu 30 Euro mit Fruehstueck).

Bamberg begeistert durch sein barockes Stadtbild. Die neue JH liegt in einer alten Villa, direkt gegenueber vom Dom. In Wirsberg traf sich gerade ein Radclub zum MTB-Training. Dabe fiel eine kostenlose Kettenreinigung fuer mein Fahrrad ab. Hohenberg ist die Wiege der fraenkischen Porzellanindustrie. Der saechsische Porzellanmaler Hutschenreuther begann hier eine eigene Produktion. Inzwischen sind die grossen Fabriken aber nach Selb oder Arzberg abgewandet. In Hohenberg bleibt jedoch das deutsche Porzellanmuseum.

Den Grenzuebertritt nach Tschechien begrenze ich aufs 20 km entfernte Eger (Cheb). Ein wunderschoener Marktplatz und eine staufische Burg begeistern den Besucher. Das Zimmer kostet hier nur noch 350 Kronen. Ich folge nun weitgehend dem Lauf der Eger abwaerts bis zur Elbe. Dabei besuche ich Karlsbad - Chomutov - Usti. Die Fahrtroute wechselt von idyllischen Nebenstrassen hoch ueber dem Egertal und der stark befahrenen Nationalstrasse, wo es keine Alternative gibt.

Zwischen Cheb und Karlovy Vary versuche ich den gut ausgeschilderten Egerradweg zu nutzen. Leider hatte ein Gewitter kurz zuvor Teile des nicht befestigten Waldwegs in rutschige Schlammpartien verwandelt. Seit langem mal wieder rutscht das schwer bepackte Vorderrad weg, so dass die ganze Fuhre im Schlamm landet. Ausser einer riesigen Sauerei sind aber keine Schaeden entstanden. Am Ausgang des Weges entschaedigt das bildschoen innerhalb der Egerschleife liegende barocke Staedtchen Loket - ein Touristenmagnet. Kaelovy Vary wird - dank russischen Geldes - jedesmal schoener - und teurer. 40 Euro kostet ein - zugegeben bildschoenes - Zimmer oberhalb der Stadt mit Blick auf die naechtlich beleuchteten Hotels.

Bis Chomutov nutze ich dann nur die "Autobahn", d.h. den Seitenstreifen der vierspurigen Schnellstrasse. Die von mir gewuenschte Route ist vor kurzem in einen riesigen Braunkohletagebau abgerutscht.

In Usti erreiche ich bereits die Elbe. In einer deutschsprachigen Radler-Pension treffen noch mehrere deutsche Radler ein. In Decin verlasse ich den traumhaften Uferweg wieder - das waere eine andere Reise, ihm bis Hamburg zu folgen. Es geht ueber das Zittauer Gebirge ins Tal der Neisse. In Zittau schlage ich erstmals mein Zelt auf, weil der Abendhimmel verspricht, dass es heute Nacht nicht regnet. Dennoch wird es unangenehm kalt.

Goerlitz nicht auszulassen raet mir ein Radler, der gerade eine Deutschlandumrundung entlang seiner Grenzen durchfuehrt. So radle ich dem Oder-Neisse-Radweg folgend bis Goerlitz und bleibe noch eine Nacht in Deutschland.

Dauerregen scheint am Morgen die Weiterfahrt unmoeglich zu machen. Bis Mittag klart der Himmel jedoch soweit aif, dass ich zur ersten Etappe durch Schlesien starten kann. Ziel ist Jelenia Gora (Hirschberg) am Rande des Riesengebirges. Ich komme so spaet an, dass das Infobuero bereits geschlossen hat, das Hostel ausgebucht ist. Durch Glueck finde ich einen Camping mitten in der Stadt. Fuer nur 18 Zloty kann hier der einzelne Zeltradler uebernachten. Neben mir stehen die Zelte zweier ebenfalls weitreisender junger Paare. Das Paar aus Frankreich ist seit September 2010 unterwegs mit dem Rad durch Kroatien - Serbien - Albanien - Griechenland - Tuerkei - Iran - Georgien - Ukraine - Polen. Das Paar aus Amsterdam plant eine Interrail-Reise durch die osteuropaeischen Staaten bis Instanbul. Da gibt es viele Reiseerfahrungen auszutauschen.

Gestern starte ich dann in Richtung Breslau. Eine katholische Kirche in Hirschberg verleitet mich, den polnischen Gottesdienst kennen zu lernen. Erst um 11.00 Uhr komme ich dann los. Daher wird eine Zwischenstation 40 km vor Breslau notwendig. In einem Hotel in Kostomtoty finde ich ein Zimmer.

Heute Morgen starte ich frueh. Die Orte sind verschlafen, es gibt kaum Verkehr. Allmaehlich daemmert mir, dass heute (15. August) ein hoher Marienfeiertag gefeiert wird. Tatsaechlich sind heute alle Geschaefte geschlossen - selbst die, die am Sonntag noch geoeffnet haben. Ich komme so bereits um 11.00 Uhr im Cinamon Hostel in Breslau an, erhalte ein Bett im Sechserschlafraum und kann mich nach dem Umkleiden auf eine geruhsame Stadtbesichtigung machen.

Im Gottesdienst werden Kraeuterstraeusschen geweiht - wie an Palmsonntag die Buchsstraeusschen. Es ist wohl Familienausflugstag. Breslau begeistert durch einen riesigen Marktplatz gesaeumt von reichen Kaufmannshaeusern. Sie mussten nach dem Krieg zu 60% rekonstruiert werden. Mittendrin stehen das alte und das neue Rathaus.

Das Wetter spielte bisher einigermassen mit. Es war zwar oft bewoelkt und nieselig. Richtig nass bin ich aber noch nicht geworden. Bei dem Gewitter am Egerradweg konnte ich mich rechtzeitig in ein Buswartehaeuschen retten.
Die Menschen, die mir begegnen sind - wie fast immer - dem alleinreisenden Radler gegenueber offen und hilfsbereit. Sprachbarrieren lassen sich mit Deutsch oder Englisch fast immer beheben. Gestern genuegten zwei Worte - pokoj = Zimmer und jeden = eins.

Viele Gruesse aus der reichen Kaufmannsstadt Breslau.

Joachim Heidinger