20. August 2011

Warschau

Hallo liebe Reisefreunde,

Inzwischen habe ich Warschau (Warszawa)erreicht. Die Fahrt war weniger anstrengend, da weitgehend flach, aber trotzdem spannend.

In Breslau bleibe ich noch einen weiteren Tag, auch um die gigantischen Shopping-Malls kennen zu lernen. Westlicher Standard wird hierbei noch uebertroffen. Die Preise sind dabei immer etwas geringer als bei uns.

Der grosse Hauptbahnhof ist eine einzige Grossbaustelle, der Zugang nur mit kilometerlangem Fussmarsch noch moeglich. Die Polen scheinen sehr geduldig zu sein... Fuer den Rest des Tages erkunde ich das ausgedehnte Tramsystem mit einer 24-Stunden-Karte fuer nur 10 Zloty. In den Aussenbezirken haben viele europaeische Mittelstandsbetriebe ihre Niederlassungen gebaut. In den Wohngebieten jenseits der Oder gibt es noch viel Renovierungsbedarf...

Der naechste Tag fuehrt in Richtung Lodz (gesprochen Wudsch). Da ich hauptsaechlich Nebenstrassen verwende, gibt es in den Doerfern keine Hotels oder Pensionen. So entschliesse ich mich, bis Blaszki weiterzufahren. Das gibt zusammen dann 120 km - meine bisher laengste Tagesetappe. Die Enttaeuschung ist gross, als das einzige Motel am Ort ausgebucht ist. Diese Enttaeuschung beeindruckt einen zufaellig in der Rezeption anwesenden Firmenvertreter so sehr, dass er fuer mich im Internet ein Hotel in 15 km Entfernung bucht und mich mit Gepaeck und Fahrrad auch noch im Firmen-Pickup dorthin faehrt. Es gibt doch noch Engel...

Am naechsten Morgen ist es strahlend sonnig - endlich ist Sommer. Den Abweg korrigiere ich durch eine Querspange - weg von der N12. Der Verkehr auf der schmalen zweispurigen Strasse ist moerderisch - vor allem die schweren LKWs lassen keinen Raum fuer Rafahrer. Auch auf den klassifizierten Nebenstrassen nimmt der Verkehr 15 km vor Lodz gewaltig zu. In beiden Richtungen gibt es durchgehende Kolonnen. Eine Ueberlandstrassenbahn bringt etwas Abwechslung, zum Teil faehrt sie im Gegenverkehr in der Mitte der Fahrbahn. Vor allem altbrauchbare Meterspurbahnen werden verwendet - manche ist den ausgedienten Ludwigshafener Bahnen sehr aehnlich...

Lodz bietet eine sehr schoen wieder renovierte Prachtstrasse mit Haeusern aus der Jahrhundertwende. Sie sind im Krieg zwar nicht zerstoert worden, aber in den 50 Jahren danach stark verfallen. Der Rest der Stadt braucht aber noch viel Zeit. Auch die Strassenbahnen fahren auf abenteurlichen Schienen - mit mehreren Gleisbruechen direkt vor der Jugendherberge. Eine Sammlung historischer Meterspurbahnen rattert vor dem Zimmerfenster vorbei.

Auf der Weiterfahrt wird es mittags schwuel heiss (ueber 30 Grad). Die Landschaft ist weitghend fruchtbares Agrarland. Nachdem die Maehdrescher das Getreide eingeholt haben, beginnt nun die Kartoffelernte. Auch grosse Gemuese- und Erdbeerfelder liegen dazwischen. Auf sandigen Abschnitten steht lichter Laub- und Kiefernwald. Vieles erinnert an die Vorderpfalz. Wie zu befuerchten braut sich gegen 15:00 Uhr ein schweres Gewitter zusammen. Ich fahre solange weiter wie moeglich. 10 km vor meinem geplanten Ziel Zyrardow gehts dann richtig los. Auch heute verlaesst mich mein Glueck nicht. Just hier gibt es einen kleinen Ort mit Buswartehaeuschen. Ein geduldiger Herr wartet hier ueber eine halbe Stunde auf seinen Bus. Mit Hilfe der Landkarte kann ich ihm ungefaehr erklaeren woher ich komme und wohin die Fahrt fuehrt. Nach eineinhalb Stunden kann auch ich weiterfahren. In dr Zeit plane ich schon die Unterbrngung in Warschau und die folgende Route nach Masuren.

Zyrardow liegt am Aussenring von Warschau, etwa 50 km vom Zentrum entfernt. Der rege LKW-Verkehr bricht gerade vollstaendig zusammen, weil drei Ampeln in Folge mit blockierenden Querverkehr den Fluss zum Erliegen bringen...Nach dreimaligem Fragen finde ich ein Motel mit guenstigem Zimmer fuer 80 Zloty.

Nachdem es gestern abend nochmals kraeftig geregnet hat, ist es heute morgen ueberraschend kuehl. Trotz Nebenstrecke ist der Verkehr von Anfang an heftig - viele schwarze Mittelklasse-Luxus-Karossen aus Warschau demonstrieren den neuen Reichtum der Hauptstadtbewohner. Sie sind besonders ungeduldig. Wenn die Strasse am rechten Rand zu sehr zerfahren ist, nutze ich mutig die Fahrspurmitte. Die Schlagloecher sind zum Teil gross und tief wie ein Kochtopf - dort hineinzugeraten bedeutet das Ende der Tour. Mit dieser Fahrweise bremse ich sogar 40-Tonner aus, wenn der Gegenverkehr kein Ueberholen zulaesst. Die meisten akzeptieren das geduldig.

Besonders aergerlich sind getrennte Radwege in den Ortschaften. Sie sind relativ neu angelegt, meist mit Hundknochenpflaster. Bei jeder Hauseinfahrt ist der Radweg abgesenkt, an Strassenquerungen bleiben 2 - 3 cm hohe scharfkantige Bordsteine, Glas von zerschlagenen Flaschen erhoeht die Panengefahr. Nicht immer nutze ich daher den Radweg. Das loest bei den Luxuskarossen dann erzieherisches Abdraengen aus...

Die Einfahrt in die Hauptstadt ist eine einzige Grossbaustelle. Aus bestehenden Strassenkreuzungen werden Autobahnkreuze gebaut. Auch hier ist es eine Entscheidung des schnellen Fortkommens die bis zu vierspurige Fahrbahn zu nutzen oder den mit dem Gehweg verschraenkten Radweg.

In der Altstadt komm ich - wie geplant - im Hostel Kanonia unter. Es ist in einem wenig renovierten Altstadthaus untergebracht. Deshalb gibt es pro Etage nur eine Dusche und ein WC, aber bis zu 10 Betten pro Zimmer !!. Zwei Naechte kosten nur 105 Zloty.

Der erste Stadtrundgang beeindruckt durch die vielfaeltige kulturelle Leben. Entlang der historischen Hauptstrasse vom Schloss ("Krakauer Promenade") liegen fast 10 sehr gut ausgestattete Kirchen, das Luxushotel "Bristol", private Palaeste und jede Menge schoene Altstadthaeuser. Auffaellig ist, dass in jeder Kirche eine Hochzeit gefeiert wird, in einigen gleich mehrere Hintereinander.

Den Abend beschliesst ein Open Air Jazz Konzert auf dem Altstadt-Markt.

Morgen bleibe ich einen weiteren Tag in Warschau. Es gibt noch viel zu sehen.

Viele Gruesse aus der sehr lebendigen Hauptstadt Polens.

Joachim Heidinger